Die Ruhe vor der Fußball-WM
Stell Dir vor, es ist Fußball-WM und keinen interessiert’s.
Am Sonntag beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft mit dem Spiel Deutschland gegen Kanada. In Deutschland, im Berliner Olypiastadion. Nur keinen interessiert’s.
Es gibt sogar noch Karten für das Eröffnungsspiel. Und auch die nachfolgenden Spiele, bis zum 17. Juli dauert das Spektakel mit allen Gruppen-, Viertel-, Halb- und Finalspielen, sind bei weitem noch nicht ausverkauft.
Das war 2006 noch ganz anders. Da wurde bereits Monate vor dem Anstoß zum Eröffnungsspiel eine staatstragende Angelegenheit aus der Verteilung der zur Verfügung stehenden Tickets gemacht. Auf dem Schwarzmarkt wurden selbst für Gruppenspiele von WM-Aussenseitern astronomisch hohe Preise gezahlt.
Diesmal ist alles anders. Nicht mal die Homepage der FIFA, dem affairengeschüttelten Weltverband des Fußballs, schenkt der diesjährigen Fußball-WM die nötige Aufmerksamkeit. Nur ein kleiner Button am rechten Rand verlinkt zur Seite der Veranstaltung.
Die Werbeindustrie, die 2006 jede noch so bescheuerte Idee umgesetzt hat und auch vor Peinlichkeiten wie Wurst in Fußballform nicht halt machte, scheint diesmal zu schlafen. Kaum ein Gewinnspiel oder debil grinsende Fußballspieler auf Produktverpackungen sind im Supermarkt zu sichten. Die Fernsehwerbung bleibt erstaunlich ruhig und läßt den Kommunikationsansatz unbeachtet vorüber ziehen.
Und auch die Print-Medien halten sich auffallend zurück. Wenige, nüchtern redaktionelle Beiträge zum bevorstehenden Ereignis. Trockene Terminaufzählungen und ein paar Hintergründe. Das wars. Keine Flyer, keine Spielpläne zum Aufhängen, keine Deutschlandfahnen in Zeitungsgröße. Nichts.
2006 überschlug man sich fast mit emotionalen Hintergrundgeschichten zum persönlichen Empfinden der einzelnen Spieler, des Bundestrainers, der Betreuer, nur um irgendwie bei der Krümelverteilung vom großen Kuchen dabei zu sein. Selbst der Fahrer des Mannschaftsbusses oder die Angestellten im Mannschaftshotel mußten für eine Story herhalten. Die journalistische Qualität der Beiträge sank dabei proportional mit der Menge der Artikel. Diesmal ist Ruhe. Das ist zwar sehr angenehm aber doch befremdlich.
Selbst die Fans scheinen noch nicht ganz wach zu sein. Keine Aufkleber an Autos, keine Fahnen* oder Spiegelabdeckungen*. Kein Public-Viewing oder Fanmeilen. Keine Aufreger wegen bevorstehender Ruhestörung oder hohen Bierpreisen. Kein offizieller WM-Song. Kein Sommermärchen 2011. Ruhe allenthalben.
Was ist diesmal so anders? Es ist die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen.
Das ist der kleine Unterschied. Weder bekommen die Spielerinnen die unangemessen hohen Gehälter und Prämien ihrer männlichen Kollegen noch läßt sich damit offenbar das große Geld bei Werbeverträgen verdienen. In Europa und der Welt, in Deutschland sowieso, hat der Frauenfußball bei weitem nicht das Ansehen und die Zugkraft wie der Fußball der Herren. Und so kommt es, daß eine Fußball-Weltmeisterschaft, die für Deutschland auf absehbare Zeit die letzte im eigenen Land sein dürfte, komplett ignoriert wird.
Wenn man ein Stückchen dieser Gelassenheit auch auf die Spiele der Bundesliga und der Nationalmannschaft der Herren übertragen könnte, würde man in Zukunft viel Geld und Ärger sparen. Die Bezahlung der Spieler würde auf angebrachte Höhe zusammenschmelzen und die Präsenz des Fußballs im Fernsehen und den anderen Medien, aber auch in der Politik und den Haushalten von Kommunen und Ländern würde sich wieder auf erträgliche Mengen reduzieren. Das wären wahrlich keine schlechten Aussichten.
Nur ein Medium bleibt sich mal wieder treu. Der aktuelle Playboy zeigt Fußball-Frauen so, wie sich die Macher des Blattes ausmalen, was Männer mit Frauenfußball assoziieren. Attraktive Spielerinnen, sexy und leicht bekleidet bis nackt. Das Spiel selbst und die sportliche Leistungen, die hinter den zahlreichen Titeln der deutschen Fußball-Nationalmannschaft der Frauen stecken, werden dabei völlig ignoriert.
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