1. Juli 1990: Einführung der D-Mark in der DDR
Der Osten Deutschlands leidet bis heute unter den Folgen.
Es ist schon eine Ironie der Geschichte, daß ausgerechnet heute der 25. Jahrestag der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion der DDR mit der BRD gefeiert wird. Ausgerechnet jetzt feiert man die Einführung einer gemeinsamen Währung im damals noch nicht wiedervereinigten Deutschland, wo zu gleicher Zeit ein Staat an Europas südöstlichen Ende aus der gemeinsamen europäischen Währung gedrängt werden soll.
Für Griechenland hatte die Einführung des Euro ebenso große Auswirkungen für die Wirtschaft wie die Einführung der D-Mark in der DDR am 01. Juli 1990. Nur daß die D-Mark wie eine regelrechte Schocktherapie über die Ostdeutschen hereinbrach. Von einem Tag auf den anderen war nichts mehr so vorher, Erfahrungen aus dem Leben davor praktisch wertlos.
Mangel vor der Währungsumstellung
Am Tag vor der Währungsumstellung waren die Regale in den Geschäften noch leerer, als sie das jemals in der Mangelwirtschaft zu SED-Zeiten waren. Die Händler horteten alles im Lager, um die Waren später für die harte Währung verkaufen zu können. Für die Aluchips, wie die Mark der DDR spöttisch genannt wurde, wollte niemand mehr etwas über den Tresen schieben. Da sich dieser Zustand über mehrere Tage und Wochen hinzog, kam es im Bereich der Lebensmittelversorgung bereits zu echten Engpässen. Zwar mußte niemand wirklich hungern, viel länger als bis zum 01. Juli hätte dieser Zustand aber nicht mehr dauern dürfen.
Mit der D-Mark kam dann wirklich über Nacht die bunte Waren des Westens auch im kleinsten Dorf-Konsum oder der HO-Verkaufsstelle an. Fliegende Händler überrannten die Innenstädte und die Schaufenster quollen über. Das vermeintliche Paradies war ausgebrochen. Daß ab diesem Zeitpunkt niemand mehr DDR-Produkte kaufen wollte, sorgte für die ersten Schatten inmitten der Euphorie.
Nichts war mehr wie vorher
Doch die bunte Warenwelt war nur eine Seite der Medaille. Neben der neuen Währung galten ab sofort auch die Gesetze und Regelungen der Wirtschaft und des Sozialwesens Westdeutschlands in der DDR. Das hört sich weniger dramatisch an, als es in Wirklichkeit war. Von heute auf morgen hatte dadurch nichts mehr Bestand, was vorher galt und was die Menschen bisher gelernt hatten. Verträge, Versicherungen, Kredite, Konten, Arbeitsverhältnisse, Kaufverträge, Renten, Grundstücke … für alles galten ab sofort neue Regeln. Die Planwirtschaft wurde innerhalb einer Sekunde durch die – damals im Gegensatz zu heute noch mehr oder weniger soziale – Marktwirtschaft abgelöst.
Darauf vorbereitet hatte man die Ostdeutschen nicht. Und so entwickelte sich diese totale Umstellung des öffentlichen Lebens zu einer echten Schocktherapie. Daß die Ostdeutschen dies durchgestanden und die Art von Flexibilität an den Tag gelegt haben, die von Westdeutschen immer verlangt doch vielfach nur vorgegaukelt wird, ist ein großer Verdienst dieser Menschen.
Wenn man sieht, welche Diskussionswellen die kleine Lebensumstellung durch die Einführung von Kinderkrippen in Westdeutschland ausgelöst haben, können Ostdeutsche darüber nur den Kopf schütteln.
Auswirkungen für die Wirtschaft
Bereits kurze Zeit nach der Einführung der D-Mark in der DDR beschleunigte sich die Talfahrt der heimischen Wirtschaft. Mit der harten Währung waren die ohnehin schon kaum absetzbaren Waren auf dem Weltmarkt völlig ohne Chance. Hohe Preise, niedrige Produktivität und unrentable Fertigung sorgten dafür, daß die DDR-Unternehmen regelrecht untergingen. Die Treuhandanstalt besorgte dann den Rest der Unternehmen, die nicht schnell genug sterben wollen.
Massenhafte Arbeitslosigkeit, Vereinsamung und eine gigantische Abwanderungswelle junger Menschen aus den neuen in alten Bundesländer waren die unmittelbaren Folgen der überhasteten Währungsunion. Unter diesen Folgen leiden die östlichen Bundesländer noch heute, trotz der milliardenschweren Geld-Transfers aus dem Westen.
Gab es eine Alternative?
Fragt man die Menschen heute, sprechen sich viele dafür aus, daß man die D-Mark später und nicht so abrupt in der DDR hätte einführen sollen. Politisch war das im Jahre 1990 nicht möglich. Die Menschen wollten endlich auch einmal ein Stück vom großen Kuchen, und das ging in ihren Augen nur mit der D-Mark. Die harte Währung erschien ihnen als Lösung aller Probleme.
Kommt die D-Mark bleiben wir. Kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr.
Das war die Losung im Frühsommer 1990. Von Revolution und der Schaffung eines demokratischen Sozialismus war da schon lange nicht mehr die Rede. Die ehemaligen Oppositionellen vom Neuen Forum und anderen Gruppen spielten keine Rolle mehr. Helmut Kohl war der heimliche Regierungschef und verbreitete seine Visionen von den blühenden Landschaften.
Um eine massive Abwanderung in den Westen zu verhindern, die später nach dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft trotzdem einsetzte, war Bonn praktisch gezwungen, die D-Mark sofort einzuführen. Auch beim Umtauschkurs von größtenteils 1:1 gab es keinen Handlungsspielraum. Die Menschen in der DDR hatten nach dem Fall der Mauer nun auch die Einführung der D-Mark erzwungen.
Die Folgen ihres Handelns, von denen sie Anfang 1990 nicht die leiseste Ahnung hatten, bekamen sie noch im gleichen Jahr zu spüren. Doch da war es bereits zu spät. So wie auch die Griechen heute einsehen müssen, daß die Einführung des Euros in ihrem Land von Anfang an ein großer Fehler gewesen ist.
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