Rederecht im Bundestag soll eingeschränkt werden
Abgeordnete sehen darin eine Entmündigung des Parlament.
Das Rederecht des einzelnen Abgeordneten im Bundestag soll eingeschränkt werden. In der neuen Geschäftsordnung, die von CDU, FDP und SPD gefordert wird, sollen allein die Fraktionen bestimmen dürfen, wer in ihrem Sinne ans Rednerpult darf. Nicht durch die Fraktion berufene Abgeordnete dürften dann nur ausnahmsweise und maximal 3 Minuten lang reden. Und selbst das erst nach Rücksprache mit den Fraktionen.
Diese gewollte Beschneidung der Rechte des einzelnen Abgeordneten geht auf die Abstimmung zum Euro-Rettungsschirm im September 2011 zurück. Bundestagspräsident Lammert (CDU) hatte den Abgeordneten Willisch (CDU) und Schäffler (FDP) das Wort außer der Reihe erteilt. Weil diese beiden Politiker dadurch ihre zur Fraktionshaltung abweichende Meinung kundtun konnten, protestierten daraufhin die Fraktionsvorsitzenden beim Ältestenrat des Bundestages. Lammert erhielt eine Rüge.
Ein eigentlich unvorstellbarer Vorgang. Lammert in seiner Funktion als Parlamentspräsident hat nichts anderes getan, als dem Grundgesetz zu folgen. Dort heißt es in Artikel 38:
(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
Dafür erhielt er eine Rüge. Wer was im Bundestag reden darf, wollen die Fraktionschef bestimmen. Eine merkwürdige Auffassung von Demokratie. Dabei kommen Ältestenrat, Fraktionen und deshalb auch deren vermeintliche Rechte im Grundgesetz gar nicht vor. Leider gibt es rechtlich keine Möglichkeit, solche Angriffe auf die Verfassung zu bestrafen.
Viele Abgeordnete wollen sich diesem Fraktionsdiktat nicht beugen und lehnen die neue Geschäftsordnung ab. Notfalls wollen einzelne Parlamentarier, so z.B. Ströbele (Grüne) und Willisch (CDU), beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Klage einreichen, um die eigenen Rechte zu schützen. „Das BVerfG wird den Fraktionsführungen von FDP, CDU und SPD schon helfen, zur Vernunft zu kommen“, so Ströbele.
Selbst die CSU scheint es begriffen zu haben. Wer Abgeordnete zum Sprachrohr von Fraktionsinteressen macht, schadet der Demokratie. CSU-Chef Horst Seehofer erklärt dazu:
Es ist geradezu absurd, wenn im Bundestag jetzt versucht wird, das Rederecht von Abgeordneten mit abweichender Meinung zu beschneiden. Das ist eine Entmündigung des Parlaments. Der Erfolg der Piratenpartei zeigt, dass die etablierten Parteien ihren Politikstil ändern müssen.
Auch CSU-Politiker haben mal lichte Momente. Das kommt zwar selten vor, wie man beim Thema Herdprämie sehen kann, aber dann um so heftiger. Seehofer scheint erkannt zu haben, woran die Politik in Deutschland derzeit krankt und warum die Piraten immer schneller voraus segeln. Ob das seine Freunde bei der CDU auch erkennen, bleibt abzuwarten. Darauf wetten sollte man allerdings nicht.
Nachtrag: Die Abstimmung über die Beschneidung des Rederechts soll offenbar unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden. Sie wurde vom Ältestenrat auf Donnerstag, den 26.04.2012, gegen 19:55 Uhr terminiert. Zu einer Uhrzeit also, bei der die Kameras der TV-Anstalten längst ausgeschaltet sind.
Update (16.04.2012): Nach den masiven Protesten gegen den geplanten Maulkorb für Abgeordnete zieht die SPD den Schwanz ein distanziert sich die SPD von ihrem Entwurf. Damit ist die Sache wohl erstmal erledigt.
Protest bewegt doch etwas. Und mit Mauscheleien kommt heutzutage keine Partei mehr durch. Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei.
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