3. Oktober 2016: Deutsche Einheit?

26 Jahre nach der Wiedervereinigung ist es Zeit, endlich die richtigen Fragen zu stellen.

Heute ist der 03. Oktober, der Tag der Deutschen Einheit. So ist die offizielle Bezeichnung für diesen Tag, der seit 1990 alljährlich gefeiert wird. Doch dieser wird fast nur von den offiziellen Vertretern des Staates gefeiert. Wie ein Wanderzirkus ziehen Kanzler, Bundespräsident, Bundestagspräsident und die Vertreter der im Bundestag sitzenden Parteien alljährlich in ein anderes Bundesland, um die offiziellen Feierlichkeiten zum 03. Oktober über die Bühne zu bringen. Eine trockene Veranstaltung unter weitgehendem Ausschluß der Bevölkerung, mehr sind diese Veranstaltungen nicht. Daß dabei jedesmal ein Gottesdienst mit eingeflochten wird, obwohl die Trennung von Staat und Kirche grundlegender Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland ist und obwohl ein Großteil der Bevölkerung kein Mitglied einer christlichen Kirche oder wieder aus der Kirche ausgetreten* ist, ist nur ein weiterer Beweis dieser abgehobenen Veranstaltung.

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Feiertag ja – Grund egal

Eine Herzensangelegenheit sieht anders aus. Und so muß man sich nicht wundern, daß die „einfachen Menschen“ sich zwar über einen arbeitsfreien Tag freuen, der Grund für diesen Feiertag ihnen aber größtenteils egal ist. Schon das Datum war 1990 völlig gewählt wurden. Es paßte den Bonner Beamtenseelen halt einfach in den Kram. Ob die „Deutsche Volksseele“ irgend etwas mit diesem Datum anfangen konnte, war egal. Es galt den Verwaltungsakt „Deutsche Einheit“ über die Bühne zu bringen.

So muß man sich heute nicht wundern, daß der 03. Oktober bis heute nicht als „Nationalfeiertag in den Köpfen der Menschen angekommen ist.

Deutsche Einheit?

Neben diesen eher emotionalen Einschränkungen gibt es jedoch auch handfeste Gründe dafür, daß der 03. Oktober ein seelenloser Feiertag geblieben ist. Und das hat auch mit den falschen Fragen zu tun.

26 Jahre nach der Wiedervereinigung, die faktisch ein Beitritt der DDR zur BRD war, manche sagen auch – teilweise nicht zu unrecht – feindliche Übernahme, muß man endlich anfangen, die richtigen Fragen zu stellen. Und diese auch zu beantworten. Ohne dies wird man die gemeinsame Zukunft von Ost- und Westdeutschland nicht erfolgreich gestalten können.

Deutsche Einheit?

Den Blick auf die 1990er richten

Jeder kennt die zahlreichen Berichte über die DDR, über die Stasi, die Mauer, die Fluchtgeschichten, den Sommer 1989 und den Fall der Mauer. Alles zumeist richtige und wichtige Informationen, und doch schon tausendmal gehört. Natürlich werden auch heute noch zahlreiche Geschichten und auch Legenden verbreitet, wie das Leben der Menschen in der DDR wirklich war, vor allem von Leuten, die gar nicht dabei waren. Selbstverständlich muß das weiter aufgearbeitet werden.

Doch 27 Jahre nach dem Fall der Mauer und der Auflösung der DDR sollte man den Blick auch nach vorn richten. Die Zeit der 1990er Jahre hat viel mehr damit zu tun, wie sich die Verhältnisse im Deutschland des Jahr 2016 darstellen als die Zustände in der DDR.
Es ist wichtig, die Geschichten aus und über die DDR ein wenig in den Hintergrund zu stellen, und sich hauptsächlich mit den Jahren der Wiedervereinigung zu beschäftigen. Da wurden die Fehler gemacht, die sich bis heute auswirken. AfD und Fremdenfeindlichkeit haben ihren Ursprung in den Zeiten der Wiedervereinigung.

Welche sind die richtigen Fragen?

Alles begann bereits unmittelbar nach dem Fall der Mauer als bundesdeutsche Politiker den Menschen der damals noch bestehenden DDR das Blaue vom Himmel herunter versprachen. Daß dies reine Wahlkampflügen waren, wußten die Politiker, die Medien, die „Wessies“, nicht aber die Menschen in der DDR. Helmut Kohl hat mit seinen „Blühenden Landschaften“ der deutschen Einheit einen schweren, bis heute nicht wiedergutgemachten Schaden zugefügt. Die überhastete Einführung der D-Mark, das stümperhafte, zum Teil strafbare Wirken der Treuhandgesellschaft, die Vernichtung des – wenn auch kleinen, aber doch vorhandenen – Volkseigentums, der heuschreckenartige Überfall der westdeutschen Firmen auf die Betriebe im Osten und die immer noch bestehende Ungleichbehandlung bei Lohn, Gehalt und Rente – all das sind Fakten aus den wilden Zeiten der Wiedervereinigung, die bis heute aus den ostdeutschen Bundesländern eine Sonderwirtschaftszone machen.

Dazu kommen die privaten Erlebnisse der Menschen, als sie von gewieften Betrügern immer wieder über den Tisch gezogen wurden. Viele verloren ihr Hab und Gut, ihren Arbeitsplatz und ihre soziales Selbstbewußtsein. Gerade die Generation der 45 Jahre und Älteren, die hauptsächlich an den Montagsdemonstrationen teilgenommen und somit zum Ende der DDR beigetragen hat, stand nach der Wiedervereinigung mit leeren Händen da. Arbeitslosigkeit, Hartz4 und Gängelung durch die Behörden, das ist ihr Alltag bis heute. Da muß sich niemand wundern, daß diese Menschen für sich keinen Unterschied zwischen heute und früher sehen. Freiheit muß man sich auch leisten können.

Um dieses Dilemma zu lösen, muß man anfangen die richtigen Fragen zu stellen.

Diese Fragen muß man sich jetzt stellen:

  • Welche Fehler wurden in der Zeit der Wiedervereinigung gemacht?
    Diese Frage kommt bis heute viel zu kurz. Viel lieber blickt man auf die Zeit vor dem Fall der Mauer.
  • Welche Versprechungen wurden bis heute nicht eingelöst?
    Das betrifft vor allem die Zeit zwischen Fall der Mauer und dem 03. Oktober 1990. Besonders Helmut Kohl und die CDU haben hierbei großen Schaden angerichtet.
  • Wie schafft man es, daß die Menschen im Osten endlich in der Bundesrepublik ankommen?
    Die realen Folgen von Einigungsvertrag und dem Wirken der Treuhandgesellschaft müssen endlich aufgearbeitet werden. Hartz4 muß abgeschafft und der erarbeitete Wohlstand gerecht auf alle Menschen verteilt werden. Das bedingungslose Grundeinkommen wäre dafür ein guter Anfang. Ohne die wirtschaftliche und soziale Gleichstellung von Ost und West wird es keine Deutsche Einheit geben.
  • Wie kann man auch die Menschen im Westen an den Osten heranführen?
    Ein Aspekt, der gern unter den Tisch fällt, ist das Verhältnis der Westdeutschen zur Deutschen Einheit. Den meisten von ihnen ist der Osten völlig egal. Mehr als Solidaritätszuschlag und Milliardenkosten verbinden sie damit nicht. Auch das ist ein Versäumnis aus den 1990er. Die BRD hat die DDR übernommen, die Kosten sollten aus der Portokasse bezahlt werden, für die Westdeutschen sollte sich nichts ändern. Bis auf die Kosten stimmt das sogar, ein gemeinsames Erleben findet bis heute nicht statt.

Auswirkungen

Die Auswirkungen der versäumten Vereinigung von Ost und West sind bis zum heutigen Tag zu spüren. Es gibt kein Gesamtdeutschland, stattdessen ist das Land noch immer geteilt in Ost und West. In jeder grafisch darstellten Statistik kann man auch heute noch, 26 Jahre nach der offiziellen Wiedervereinigung die alte innerdeutsche Grenze erkennen, sei es bei der Anzahl der Geburten, der Höhe der Rente, bei Wohneigentum, der Zahl der Ausländer usw. usf. Über all herrschen völlig unterschiedliche Bedingungen.

Wer sich heute wundert, warum der Osten der Republik besonders ausländerfeindlich zu sein scheint, der muß den Blick auf die 1990er Jahre richten. Die Fehler, die damals gemacht wurden, sind dafür ein Auslöser. Die Menschen haben einfach Angst, wieder hinten anzustehen, wieder über den Tisch gezogen zu werden. Sie wollen das Wenige, das ihnen heute zur Verfügung steht, nicht mit anderen teilen.

Einigungsvertrag, Hartz4 und Treuhand waren der Nährboden für die Ausländer- und Flüchtlingsfeindlichkeit im Jahr 2016, für Pegida und AfD. So einfach läßt sich das leider zusammenfassen. Die Politik muß 26 Jahre nach dem Beitritt der DDR zur BRD endlich anfangen die richtigen Fragen zu stellen und die Versäumnisse der 1990er Jahre aufzuarbeiten.

 

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Ein Kommentar

  • Clara

    Es ist wirklich wahnsinn wie schnell die Zeit vergeht. von 1989 bis heute hat sich so viel geändert das ist einfach unglaublich. Die Politik durchlebt einen wandel der zeit. Bin gespannt wie es weiter gehen wird.