Die unerträglichen Lobhudeleien auf Helmut Kohl

An diesem Wochenende gab es offensichtlich einen Wettstreit darüber, wer der größte Verehrer des Altkanzlers Kohl war. Das artete in eine unerträgliche Lobhudelei auf den Altkanzler aus.

Helmut Kohl ist tot. Man soll ja über Tote nichts Negatives sagen, so heißt es. Doch es steht nirgends geschrieben, daß man Tote in einer solchen Art und Weise überhöhen und loben soll, wie das am Wochenende mit Helmut Kohl geschehen ist.

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Staatliche Einheit

Ja, Kohl mag der Kanzler der Einheit gewesen sein, dies aber nur der staatlichen Einheit vor dem Hintergrund des Völkerrechts. Und ja, es war vielleicht glückliche Fügung, daß der Machtmensch Kohl, der sich bestens darauf verstand, Gegner und Freunde gegeneinander auszuspielen, in den Hinterzimmern Deals abzusprechen und im Verborgenen die Strippen zu ziehen, daß zufälligerweise ausgerechnet dieser Kanzler Kohl in Bonn an der Macht war, als die Berliner Mauer vom Osten her eingedrückt wurde. Dieser war skrupellos genug, die staatliche Einheit gegen alle Widerstände im In- und noch viel mehr im Ausland durchzusetzen. Das war wirklich ein Verdienst von Kohl, wenn man es denn so bezeichnen will. Ob ein anderer Kanzler das auch so hinbekommen hätte, darf bezweifelt werden.

Innere Einheit

Doch das war es auch schon mit dem Lob für Kohl. Die innere Einheit Deutschlands hat er komplett und sehenden Auges gegen die Wand oder besser die Mauer gefahren. Auch wenn er das in seinen Erinnerungen der Wendezeit* natürlich ganz anders sieht. Wer nachlesen möchte, wie Kohl wirklich dachte und tickte, der sollte einen Blick in die von ihm so vehement bekämpften Kohl-Protokolle* werfen.

Begonnen hatte dieser Prozeß bereits im Dezember 1989 als Helmut Kohl die Lüge von den blühenden Landschaften verbreitete. Er war selbst davon überrascht, wie leichtgläubig viele Ostdeutsche zu diesem Zeitpunkt waren, und Kohl war Machtmensch genug, diese Tatsache eiskalt auszunutzen. Der Wahlkampf zu den ersten freien Wahlen in der DDR im März 1990 wurde ein Lehrbeispiel dafür, wie Wahlbeeinflussung von außen geschieht und wie die West-CDU die Ost-CDU und ihre sogenannte „Allianz für Deutschland“ propagandistisch unterstütze. Man kann auch sagen, wie der Wähler rotzfrech belogen wurde.

Die Ausplünderung der Ost-Wirtschaft und des Volkseigentums durch die von Westmanagern geführte Treuhand und die Einführung der D-Mark gaben der DDR dann planmäßig den Rest. Kohl hatte nie wirklich daran gedacht, blühende Landschaften entstehen zu lassen. Seinen Freunden und Spendengebern aus der West-Wirtschaft war nicht daran gelegen, sich im Osten unliebsame Konkurrenz heranzuzüchten.

Und so wurde eilig die staatliche Einheit im Oktober 1990 durchgedrückt. Das Experiment des 3. Weges war damit beendet. Denn man darf nicht vergessen, daß die DDR zwischen Mauerfall und Deutscher Einheit das freieste Land der Welt war. Und da steckt keine Pointe drin, sondern ist die reine Wahrheit. Zum 03. Oktober 1990 wurde dem Osten der Beamtenstaat der BRD übergestülpt, und was nicht paßte, wurde passend gemacht oder rigoros beseitigt. Besonders für die Frauen im Osten bedeute dies einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rückschritt um Jahrzehnte. Noch heute leidet der ganzen Osten unter den falschen Entscheidungen in der Zeit der Wiedervereinigung.

Weitere Fehler von Kohl

Was danach an vielen weiteren Fehlern folgte, sei hier nur stichpunktartig erwähnt:

  • Griff in die Sozialkassen, um die Einheit zu finanzieren.
  • Einführung des Solidaritätszuschlages, der von Anfang an eine Lüge war und bis heute das Verhältnis von Ost und West vergiftet.
  • Ausdehnung der Nato auf DDR-Gebiet und nach Osteuropa, obwohl das Gegenteil mit Gorbatschow verabredet wurde.
  • Einführung des Euro, der bis heute unter dem Geburtsfehler leidet, daß es keine gesamteuropäische Regierung und keine Wirtschafts-, Währungs- & Sozialunion gibt. Bei der Einführung der D-Mark in der DDR wußte man noch, daß man ohne diese vier Komponenten komplett scheitern muß. Dieser Konstruktionsfehler des Euro kann am Ende dazu führen, daß Europa gesprengt wird. Damit hat das Denkmal „Vorzeige-Europäer Kohl“ herbe Kratzer bekommen.

Das ist nur ein kleiner Abriß der politischen Fehler des Helmut Kohl, sonst würde es den Rahmen sprengen. Und von den menschlichen soll hier nicht die Rede sein.

Lobhudeleien

Man muß sich deshalb schon wundern, wer sich nun plötzlich alles als heimlicher Kohl-Fan outet. Diese Menschen scheinen vergessen zu haben, daß Helmut Kohl ohne den Fall der Mauer schon 1990 Geschichte gewesen wäre. Selbst die eigenen Parteifreunde in der CDU sägten damals bereits an Kohls Stuhl. Die wirtschaftliche Lage in Westdeutschland war verheerend und über dem Land lag der Mehltau des Stillstands.
Die Wende in der DDR und der Fall der Mauer, den Kohl bezeichnenderweise auf Staatsbesuch in Warschau verpennt hat, hat die politische Karriere von Kohl noch einmal gerettet.

Doch 1998 war dann endgültig Schluß. Da wollten auch die betrogenen Wähler in Ostdeutschland nicht länger an Aufschwung und kommende blühende Landschaften glauben. Kohl verlor die Wahl haushoch gegen Herausforderer Schröder von der SPD. Was daraufhin folgte war ein regelrechtes Aufatmen im ganzen Land. Der Staub der vergangenen Jahrzehnte konnte endlich weggeblasen und die konservativen Verkrustungen beseitigt werden. Allein die Veränderungen im Familienrecht, Namensrecht und Sorgerecht waren wie ein Übertritt aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Zwar haben die Verhältnisse gerade auf dem Gebiet der Gleichberechtigung von Mann und Frau auch heute noch lange nicht den Status erreicht, der in der DDR bereits Alltag war, doch gegenüber dem Zustand unter Kohl war das ein echter Fortschritt.

Helmut Kohl wurde 1998 vom Wähler regelrecht vom Hof gejagt und die Spendenaffäre, die danach publik wurde, hat dem Ansehen Kohls den letzten Rest gegeben. Während ein Altkanzler Helmut Schmidt quer durch alle Parteien und Wählerschichten bis zu seinem Tod ein hohes Ansehen genoß, blieb Helmut Kohl bis zuletzt bei vielen gerade zu verhaßt. Der von Kohl bewußt begangene Rechtsbruch durch die Weigerung, die Namen der Spender in der CDU Parteispenden-Affäre zu nennen, hat daran einen großen Anteil.

Insofern kann man sich über die Lobhudeleien, die viele aktive und pensionierte Politiker und viele Medienvertreter an diesem Wochenende abgesondert haben, und über die ausgebrochene Trauerhysterie nur wundern. Der Mensch vergißt offenbar noch immer allzu schnell.

 

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