Der 03. Oktober, der falsche Feiertag.
Warum der 03. Oktober mit dem Mauerfall verwechselt wird.
Wer gestern am 03. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit aufmerksam die Medien und hierbei hauptsächlich die öffentlich-rechtlichen TV-Sender verfolgt hat, der konnte wieder einmal das Phänomen beobachten, dass es in den meisten Sendungen um die Zeit der Demonstrationen in der DDR im Sommer ’89, um die Fluchten über die bundesdeutschen Botschaften in Prag, Warschau und Budapest, um Gorbatschow und zu einem übergroßen Anteil um die Öffnung der Berliner Mauer ging.
Der Tag der Deutschen Einheit am 03. Oktober 1990 und der Weg dahin, von der Maueröffnung am 09. November 1989 über die ersten freien Wahlen, die harten Einschnitte im Osten zum 01. Juli 1990 und die Verhandlungen des Einheitsvertrages, spielten dagegen so gut wie keine Rolle.
Wer damals nicht selbst dabei gewesen ist im wilden Jahr 1990, dem kann man es bei dieser Art der Berichte nicht übelnehmen, wenn er den 03. Oktober leicht mit dem 09. November verwechselt. Und wenn er nicht mehr durchblickt, ob wir dieses Jahr nun zum 29. Male oder doch zum 30. Male irgendein wichtiges Datum feiern.
Warum ist das so?
Man muss sich aufgrund der alljährlichen Wiederholung dieser Art der Berichte schon fragen, warum das so ist, und ob das Ganze nicht sogar Methode hat.
Wahrscheinlich ist die Sache einfacher, als man es wahrhaben möchte. Die TV-Sender bzw. die darin arbeitenden Vorgesetzten sind in der Mehrzahl Wessis. Das gilt auch für die Sender in den „neuen“ Bundesländern. Nicht nur in DAX-Unternehmen und Behörden ist die Zahl der Ossis in Führungspositionen 29 Jahre nach der Wiederherstellung der staatlichen Einheit lächerlich klein, auch in den öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten sieht es nicht besser aus.
Und so verwundert es nicht, dass man im ÖR beim Thema „DDR und die Wende“ auf die immer gleichen Bilder und zig mal gesendeten Videos zur Maueröffnung setzt.
Das waren und sind Gänsehautmomente, ohne Frage, mit dem eigentlichen Thema 03. Oktober haben sie jedoch nur bedingt etwas zu tun. Die einschneidenden Veränderungen, die für die Menschen in der DDR im Jahr 1990 auf dem Weg zur Einheit eingetreten sind, kennen außerhalb des Ostens nur die Wenigsten. Und mit diesem trockenen Thema will sich heute im Westen niemand mehr beschäftigen. Deshalb greifen die ÖR lieber zu vermeintlich einfacherer Kost.
Und so lief gestern – nach dem unausweichlichen Gottesdienst, an dem fast die gesamte politische Führung des Landes teilnahm und der vom ÖR live übertragen wurde, die Trennung von Staat und Kirche existiert bislang nur als theoretische Möglichkeit – die Übertragung des Staatsaktes zum Tag der Deutschen Einheit in Kiel über die Bildschirme. Nebenbei bemerkt: Dieser Staatsakt hätte kälter und emotionsloser nicht über die Bühne gebracht werden können. So sieht echte Freude über die Wiedervereinigung aus. Nicht.
Nachdem das überstanden war, gefielen sich ARD, ZDF und die zahlreichen kleinen Sender, wie NDR, BR, Radio Bremen und wie sie alle heißen, darin, Szenen der Maueröffnung 1989 in Dauerschleife und Schmonzetten wie „Ekel Alfred und der Ostbesuch“, „Good bye Lenin“, „Sonnenallee“ oder “ Go Trabi go“, in denen der Ostler mindestens als seltsam, manchmal als blöde, oft auch nur als Witzfigur dargestellt wird, über den ganzen Tag verteilt zu senden. Echte Beiträge zur Deutschen Einheit musste man dagegen mit der Lupe suchen.
Was hätte stattdessen gezeigt werden müssen?
Wieder einmal wurden die DDR, die Wende, die Einheit und der Osten allgemein einzig aus dem Blickwinkel des Westens betrachtet. So wie schon immer. Das genau das ein Teil des Problems ist, in dem der Osten heute steckt, will offenbar niemand wahr haben. Schlimmer noch, es scheint einfach nicht zu interessieren.
Wäre es den ÖR wirklich wichtig gewesen, etwas Passendes zum Tag der Deutschen Einheit zu zeigen, dann hätten ganz andere Themen zur Sprache ommen müssen. Hier nur eine kleine Auswahl dazu:
- Welche Auswirkungen hatten die falschen Versprechen von Helmut Kohl in Ost und West?
Kohl hat ja nicht die Menschen im Osten belogen. Auch die im Westen wurden getäuscht, als ihnen u.a. versprochen wurde, die Kosten der Einheit könnten aus der Portokasse bezahlt werden. - Warum ist die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion bis heute nicht vollständig realisiert?
Als am 01. Juli 1990 die DM im Osten eingeführt wurde, wurde ebendiese komplette Angleichung versprochen. Doch bis heute, 29 Jahre nach der Einheitsfeier gibt es immer noch Unterschiede bei Bezahlung und Rente, und sind viele Ungerechtigkeiten nicht überwunden. - Was ist das reale Erbe der Treuhandanstalt?
Eine echte Aufarbeitung der Rolle der Treuhand bei der praktisch totalen Deindustrialisierung des Osten, ohne den Blick durch die rosarote Brille westdeutscher Politiker, ist lange überfällig. - Welchen Einfluss hatten westlichen Politiker und Parteien auf die Wahlen im März 1990 in der DDR?
War das wirklich eine faire Wahl für alle Parteien und Gruppierungen im Osten oder wurde der Wahlkampf hauptsächlich vom Westen gesteuert? - Welche Entscheidungsfreiheiten hatte die erste demokratische DDR Regierung unter de Maiziere?
Welchen Einfluss nahm auch hier die Bundesregierung in Bonn auf die Vorgänge im Osten? - Wie liefen die Verhandlungen zum Einheitsvertrag ab?
Wer war Koch und wer war Kellner bei der Ausarbeitung dieses so wichtigen Vertrages? Welche Einflüsse gab es von außen? Warum die Eile und warum blieb so vieles ungeklärt? - Wie liefen die 2+4 Verhandlungen ab?
Waren das wirklich 2 plus 4 Partner oder doch nur 1 plus 4, weil die DDR nur am Katzentisch Platz nehmen durfte und Bonn die Verhandlungen mit den Alliierten praktisch allein führte? - Wie entwickelte sich die Außenpolitik Deutschlands nach 1990?
Nach der Wiedervereinigung scheinen bei einigen Politikern großdeutsche Allmachtsfantasien ausgebrochen zu sein. Heute findet man deutsche Soldaten wieder in vielen Ländern der Erde. Mit den Friedens- und Neutralitätsvorstellungen vieler Ostdeutscher und vieler Menschen in den „alten“ Bundesländern nach der Wende hat das absolut nichts zu tun. - …
Es gibt so viele und noch viel mehr wichtige Themen, über die man an einem so bedeutsamen Feiertag, wie dem Tag der Deutschen Einheit hatte sprechen können oder die man im Zuge einer echten Reportage hätte erörtern können, statt Bilder und Videos zur Maueröffnung wiederzukäuen. Doch diesem Anspruch wurden die öffentlich-rechtlichen Sender nicht gerecht, zum wiederholten Mal.
Vielleicht sieht es ja im kommenden Jahr besser aus. Da kann man dann wirklich 30 Jahre Wiedervereinigung feiern. Doch es steht zu befürchten, dass man dann abermals den 03. Oktober mit dem 09. November verwechselt.
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