Brexit, das verdrängte Problem.
Premier Johnson droht mit hartem Bruch, und verkennt dabei seine Lage.
Brexit, da war doch noch was. Während es vor wenigen Monaten fast kein anderes Thema mehr zu geben schien, hörte man in diesem Jahr nur noch sehr wenig über den aktuellen Stand zum Thema Brexit. Corona sorgte auch dabei für entsprechende Verwerfungen und ließ den EU-Austritt Großbritanniens fast gänzlich aus den Schlagzeilen verschwunden.
Doch die Augen zu verschließen hilft nicht. Das weiß nicht nur jedes Kind, das dem Sandkasten irgendwann entwachsen ist, das trifft auch auf den Brexit zu. Denn wirklich klar ist in diesem Zusammenhang leider bislang gar nichts.
Die Briten waren es, die durch ihr dilettantisches Nichtstun dafür gesorgt haben, dass das Vereinigte Königreich zwar mittlerweile offiziell die EU verlassen hat, belastbare Regelungen zum Austritt und den weiteren Beziehungen zur EU kann man jedoch nicht vorweisen. So einigte man sich mit EU darauf, den echten Brexit mit allen Konsequenzen auf das Jahresende 2020 zu verschieben. Der ursprünglich für den März 2019 geplante EU-Austritt wurde somit auf den 31.12.2020 verschoben. In der Übergangszeit bis Silvester muss sich Großbritannien weiterhin an alle EU-Regeln halten und vereinbarte Zahlungen leisten, darf dafür aber auch in der Zollunion bleiben und bekommt weiterhin Zugang zum EU-Binnenmarkt.
Also bisher ein Brexit light, man kann es auch Mogelpackung nennen. Wer sich das ganze Drama noch einmal vor Augen führen will, sollte viel Zeit einplanen und den entsprechenden Wikipedia-Artikel zu Brexit studieren.
Johnson, der schlechte Pokerspieler
Doch zum Jahresende 2020 soll wirklich endgültig Schluss sein. Zwar hatten manche EU-Politiker angeregt, im Zuge der Corona Krise noch einmal über eine Verlängerung der Übergangszeit nachzudenken, doch dies stieß nicht auf viel Gegenliebe. Weder in der EU noch bei den Briten.
Boris Johnson meint gar, der EU ein Ultimatum stellen zu können. Sollte bis Oktober kein Deal mit der EU zustande gekommen sein, dann will er einen No-Deal-Brexit durchziehen.
Allerdings vergisst Johnson dabei wichtige Dinge, die wirklich jeder Pokerspieler kennen sollte. Zum einen kann man mit der selben Sache nur einmal drohen, ganz einfach weil alles bei Wiederholung an Schrecken verliert, und mit einem chaotischen Brexit haben die Briten schon oft gedroht. Zum anderen sollte man seinen Einsatz nur erhöhen, wenn man auch einen dicken Trumpf in der Hand hat, wenn der Gegner die Karten sehen will. Deshalb sieht es für Johnson nicht sehr gut aus. Aufs Bluffen fällt die EU nicht mehr herein und gute Karten hat Johnson auch nicht in der Hand.
Trotzdem macht er Druck und dringt auf eine Einigung über einen Brexit-Deal bis spätestens Mitte Oktober. Sonst könnte der Deal nicht mehr ratifiziert werden und damit würde ein ungeregeltes Ausscheiden des Vereinigte Königreichs aus der EU zum Jahresende drohen. Dann würde es nach Aussage von Johnson auch kein Freihandelsabkommen geben können, stattdessen wäre dann ein Handel zwischen den ehemaligen Partnern nur noch auf Grundlage der Welthandelsorganisation WTO möglich. Das wäre der kleinste gemeinsame Nenner des Handels.
All das mag stimmen, was Johnson da vorhersagt. Doch ein No-Deal und künftige Beziehungen auf WTO Grundlagen würden vor allem Großbritanniens Wirtschaft schaden. Die EU hat diese Möglichkeit längst eingepreist. Man wäre in Brüssel natürlich erleichtert, wenn es doch noch zu einem geregelten Brexit kommen würde, das würde Vorteile für beide Seiten bedeuten. Ein chaotischer Brexit würde dem Vereinigten Königreich allerdings mehr schaden als der EU, gerade auch vor dem Hintergrund der immer noch wütenden Corona-Pandemie.
Johnson droht hier also mit leeren Händen. Das klappt nur, solange seine Gegenspieler in der EU ihn und seine Möglichkeiten ernst nehmen. Dies ist im Fall von Johnson und der britischen Regierung schon lange nicht mehr der Fall.
Nordirland
Auch der letzte Trumpf, den Johnson noch in der Hand hat, wird ihm nicht helfen. Zwar wäre das Wiederaufschnüren der Nordirland-Vereinbarung ein wirklich großer Rückschritt, doch geht man in Brüssel davon aus, dass die Opposition im britischen Unterhaus und die Partner in Irland dafür sorgen werden, dass die Abmachung zur Nordirland-Frage weiterhin bestand haben werden.
Man darf gespannt sein, ob Johnson wirklich solch ein schlechter Pokerspieler ist, dass er bis zuletzt an einen erfolgreichen Bluff glaubt. Oder ob ihm noch rechtzeitig klar wird, dass ein chaotischer Brexit zu einem harten wirtschaftlichen Bruch mit der EU und damit zu schweren Einbrüchen in der britischen Wirtschaft führen wird. Man kann den Briten nur wünschen, dass ihr Premier Johnson noch rechtzeitig zu Verstand kommt.
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